1. Andante
Eigentlich meinte ich, das sei es jetzt gewesen mit den Frauen, damals, kurz vor der Jahrtausendwende, von der Partnerin verlassen, über Nacht alleinerziehender Vater geworden, moralisch am Tiefpunkt des Lebens angelangt.
„Eric“, sagte ich zu mir, „was hast du einer Frau zu bieten als vierzigjähriger Mann mit drei kleinen Kindern im Schlepptau? Deine Kraft reicht halbwegs, den Alltag mit Kindererziehung und Haushalt zu bewältigen sowie den Brotkorb zu füllen. Glaubst du, ein solch beladenes Leben mit kaum freier Zeit mache dich für eine Frau begehrenswert? – Zudem, schau mal in den Spiegel, eine attraktive Erscheinung bist du nun wirklich nicht: Ausbuchtungen überall, nur nicht da, wo sie hinpassen könnten; Haaransatz einem abgelatschten Teppich gleich; Längenwuchs nicht der Rede wert. Wärst du eine Seeforelle, man würde dich, weil viel zu mickrig, nach dem Fang gleich wieder zurückwerfen. – Also, Eric, in deinem Leben ist das Thema ‚Frau, Freundin, Partnerin‘ endgültig abgeschlossen. Finde dich damit ab, zum unfreiwilligen Hagestolz mutiert zu sein.“
Ich sollte mich gewaltig getäuscht haben! – Viele Frauen kreuzten seither mein Leben, mit einigen ging ich ein kurzes Wegstück, mit der Auserwählten an der Seite ein längeres. Heute jedoch bin ich wieder Single, stehe wieder am selben Punkt im Leben wie vor dem Millennium und frage mich erneut, ob mir das Schicksal nochmals eine Partnerin bescheren wird.
Zu Beginn meiner neuerlichen Partnersuche um die Jahrtausendwende war ich überzeugt, die ständige Begleitung meiner Kinderschar sei mein großes Handicap beim Schließen neuer Bekanntschaften. Das Gegenteil davon war aber der Fall: Bald stellte ich fest, dass einem alleinerziehenden Vater ein „Gütesiegel“ anhaftet, das ihn als Mann auszeichnet und aus all den partnersuchenden Männern gleichen Alters heraushebt.
So öffnete sich manch Frauenherz für mich fast wie von selbst, und auch fürs Aufsperren von Türen jeder Art – nicht zuletzt zu Schlafgemächern – brauchte es kaum ein weiteres Überzeugen.
Das Problem, neue Bekanntschaften zu schließen, stellte sich mir an einem ganz anderen Ort: Meine Tage waren bestens mit Arbeit und Alltagspflichten gefüllt, und an den Abenden war Kinderhüten angesagt; an den Wochenenden nichts wesentlich anderes. Wo sollte da noch Raum vorhanden sein, neue Leute, Frauen, eine zukünftige Partnerin anzusprechen? Ein alleinerziehender Vater kennt keinen Kneipengang nach Feierabend, nimmt nicht an spontanen Partys teil und wird auch nicht mehr zweimal in der Woche im Dorfverein gesehen. – Mit kaum freier Zeit lernte ich die eigenen vier Wände von einer ganz anderen Seite kennen.
Da gab es aber eine neue Erfindung, bei der damals kaum jemand ahnte, welche Auswirkung sie zukünftig auf das Dasein der Menschheit haben wird: Ende der achtziger Jahre des vorderen Jahrhunderts entwickelte Tim Berners-Lee die HTML-Seitenbeschreibungssprache. Zusammen mit dem Programmieren des systemunabhängigen Datentransferprotokolls begründete er damit den Beginn des Internets. Was damals im CERN-Forschungsinstitut in Genf seinen Anfang nahm, entwickelte sich rasch zum weltweiten Computerverbund. Mit zunehmender Zahl von Internetusern fanden sich auch immer mehr Anwendungen, wie dieses weltumspannende Netz zu verwenden ist.
Die nackten Frauen waren wohl von Anfang an im Internet zu finden, wie könnte es auch anders sein. Die ersten Portale zum Suchen eines Partners, einer Partnerin gingen jedoch erst im ausgehenden zwanzigsten Jahrhundert online – exakt zur richtigen Zeit für mein eigenes Suchen.
Heute ist die Partnersuche im Internet etabliert, akzeptiert, kommerzialisiert; damals jedoch geradezu verwegen. Es brauchte sehr viel Mut, sich in dieser neuen Cyberwelt kontaktsuchend zu offenbaren, denn diese Art der Partnerfindung war noch alles andere als moralisch akzeptiert. Trotz Interesse an einer Freundschaft überreichten mir nicht wenige Frauen einen Korb, weil sie zu dieser Zeit Verwandten und Bekannten unmöglich einen auf „unnatürliche Weise“ auf der Vorschlagsliste eines Kontaktportals gefundenen Freund präsentieren konnten.
Für mich jedoch war die Partnersuche vom Schreibtisch aus geradezu ideal: Nachdem die Kinder versorgt und zu abendlicher Stunde im Bett lagen, startete ich meinen Computer und empfing die große weite Cyberwelt auf dem kleinen iMac-Display. Fast nicht zu glauben, welche Frauenschar mich allabendlich besuchte, zwar nicht real, doch nur einen Mausklick weit entfernt.
Ein guter Tänzer war ich nie, ein gewandter Schreiber jedoch seit jeher. Schon als Schuljunge hoffte ich, die Mädchen mit meinen Texten zu beeindrucken. Immerhin blieb damals der literarische Erfolg nicht aus, regelmäßig durfte ich der Klasse meine Aufsätze vorlesen. Die Mädchen jedoch blieben davon unbeeindruckt und zollten meinem Schreiben bestenfalls mit einem milden Lächeln Achtung. Geschichten über Pferde, Hunde und anderes Viehzeug standen in ihrem Interesse, nicht aber meine lyrischen Texte. Nichts wurde daraus, in der großen Pause Lesungen zu veranstalten, um dem anderen Geschlecht näherzukommen. Magnetisch angezogen, scharten sich die Mädchen um die lässigen, wild bemähnten Typen mit dem Batikmuster auf dem Shirt. Der coole Hippie war in meinen Jugendjahren angesagt, nicht jedoch der bebrillte Kurzhaarliterat mit Pickeln im Gesicht.
Alles hat jedoch seine Zeit: Gute fünfundzwanzig Jahre später gelang es mir doch noch, mit schmeichelnden Texten die holde Weiblichkeit anzulocken.
Bei der virtuellen Partnersuche im Cyberspace ein nicht zu unterschätzender Vorteil, schreiben, gut schreiben zu können. Wer nur ein Gestammel in die Computertastatur zu drücken vermag, geht besser tanzen. Paarungswillige Frauen sind auch auf dem Tanzparkett zu finden – habe ich mir jedenfalls sagen lassen...
Dank „Gütesiegel“ und Schreibvermögen ließ das Finden nach dem Millennium nicht lange auf sich warten. Wo ich als Jüngling keine Chance bei den Frauen hatte, konnte ich nun wählerisch werden und flatterte einem Schmetterling gleich von einer Blüte zur nächsten, leichten Mutes vom Nektar kostend, immer meinend, noch süßeren zu finden.
Anfänglich probierte ich vieles aus, was ich vorher gar nicht kannte; die unverbindliche Affäre, das kurze Abenteuer, den schnellen Sex. Allmählich war dieser Durst jedoch gestillt und ich sehnte mich wieder nach einer festen Freundschaft, einer stabilen Partnerschaft, die auch die Regentage des Lebens zu überstehen vermag.
Für unverbindlichen Sex im Internet eine Frau aufreißen – kein Problem. Auf den einschlägigen Seiten ohne jedes Zücken des Portemonnaies möglich, sofern man(n) natürlich auftritt und sich nicht notgeil, schmierig oder sabbernd präsentiert.
Auf den explizit dafür geschaffenen Suchportalen die passende Frau für eine solide Freundschaft, Partnerschaft gewinnen – welch große Überraschung – schwierig bis schier unmöglich. Mehrmals war ich zuversichtlich, diese Frau doch mehr als erspäht zu haben, jedoch das Leben meinte anderes.
Heute sind auf meinem Zähler spürbar mehr gelebte Tage; meine Kinder sind junge Erwachsene geworden. Die Erziehungs- und Betreuungsarbeit ist Vergangenheit und beschränkt sich noch auf das Kühlen der Gemüter, wenn das junge Blut überzuschäumen droht. Mit dem Ablegen meiner Vaterrolle ist auch das Ende meines „Gütesiegels“ gekommen. Nunmehr matt geworden, ist damit nichts mehr zu gewinnen.
Aber auch im jetzt ruhiger gewordenen Leben ist mein Wunsch nach einer Gefährtin vorhanden, mehr sogar als je zuvor. Ich vermisse die Vertraute, die Partnerin, mit der ich die Höhen und Tiefen des Lebens und nicht zuletzt den Alltag teilen kann.
Der zufälligen Begegnung nichts überlassend, versuche ich darum neuerlich, die Frau fürs Leben zu entdecken. Nicht im Dorfverein und schon gar nicht auf dem Tanzparkett, vielmehr dort, wo mein „Gütesiegel“ in der Vergangenheit besonders hell gefunkelt hat.
Hoffentlich das letzte Mal in meinem Leben schlüpfe ich ins altvertraute Schmetterlingsgewand und fliege hinaus in die weit gewordene Cyberwelt, die wirklich passende Schmetterlingsfrau zu finden.
Eric